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Station 5

Die St. Gangolf-Pfarrkirche in Hiddenhausen

Der Besucher der kleinen, romanischen Kirche im Zentrum des alten Dorfes Hiddenhausen betritt eine Stätte, deren Geschichte bis in die Zeit vor der Christianisierung Westfalens zurückreicht.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit zählte der heutige Kirchplatz schon vor 800 zum Areal des nicht erhalten gebliebenen „Sattelmeierhofes" als Standort des klotzigen „Hof-Spiekers", eines dem Haupthof zugeordneten Wehr- und Speicherturms. Wohl bereits im frühen 9. Jahrhundert mag ein schlichter Holzsaal, neben jenem massigen Steinturm errichtet, als erste Hofeskapelle gedient haben.
Über 400 Jahre lang war sie eine Filiale der Bünder Kirche St. Laurentius, die den Mittelpunkt eines weit ausgedehnten Missionsbezirkes (Urpfarrei) im Bistum Osnabrück bildete. In einer Schenkung übertrug Kaiser Ludwig der Fromme die Einkünfte und Patronatsrechte der Abtei Herford.

Mit der Aufteilung des alten Bünder Pfarreibezirks wurde die Hiddenhauser Filialkapelle Mitte des 13. Jahrhunderts zur Pfarrkirche eines neu errichteten Kirchspiels erhoben; es umfasste die Bauernschaften Hiddenhausen, Eilshausen, Lippinghausen, Oetinghausen und später auch das aus dem Gutsbezirk erwachsene Dorf Bustedt. In dieser Größe bestand die Kirchengemeinde noch bis 1962, als durch Abpfarrung vier selbständige Kirchengemeinden entstanden. So erstreckte sich der pfarramtliche Versorgungsbereich der Hiddenhauser „Mutterkirche" etwa 700 Jahre lang auf das gesamte Gebiet zwischen Bünde und der freien Reichsstadt Herford, ausgenommen Schweicheln-Bermbeck und Sundern, die kirchlich zusammen mit dem „hilligen Hervorde" zur Paderborner Kirchenprovinz gehörten.

Baugeschichte

Als weitaus ältester Teil des heutigen Baukörpers ist der Turm, ursprünglich Speicherturm ohne Dachhelm und ohne ebenerdigen Eingang, erhalten geblieben. Seine unterirdische Totengruft diente bis 1647 dem Stiftsmeierhof, bis 1822 dem Haus Consbruch als letzte Ruhestätte ihrer Familienangehörigen. Spätestens mit der Erhebung zur Pfarrkirche bekam der Wehr- und Speicherturm seine neue Funktion als Kirchturm. Noch in romanischer Zeit wich der Holzsaal einem fast quadratischen Steinbau mit Rechteckabschluß ohne Chorapsis. In einer zweiten Gruft unter dem Langhaussaal ruhen seit dem 15. Jahrhundert die Familien der Bustedter Burgherren (Nagel und von Eller).
Der Saalbau fiel den Verwüstungen und Plünderungen des Dreißigjährigen Krieges zum Opfer; der offenbar maßstabgetreue Wiederaufbau kam 1665 zum Abschluss. Ihm folgte die Ausstattung mit barockem Inventar: Taufe und Barockkanzel von 1673, Glocke der Stifterfamilien v. Eller/ Consbruch von 1666, Abendmahlskelch 1704, Prunkepitaph 1719 und Orgel von 1722. Das Kirchenschiff, schon 1696 auf das heutige Rechteckmaß nach Osten erweitert, hatte bis 1956 seinen Eingang in der Mitte der Südwand; die Emporen im Kirchenschiff waren bis 1911 nur über Außentreppen zugänglich, so dass die Kirche 560 Besuchern Sitzplatz bot. Ein weitreichender Umbau erfolgte 1911: Rechteckapsis mit Sakristei und Taufkammer, Abbruch der Süd- und Ostempore, dafür Anbau zweier Gutspriechen an der Nordseite, Schließung der Totengruften und neue Anordnung des Kircheninventars. Zahlreiche Ergänzungsarbeiten, besonders die Erweiterung der Westempore 1940 und die Schließung des Südeingangs 1956, verliehen der Kirche trotz schmerzlicher Inventarverluste (Schalldeckel der Kanzel von 1673 und zwölfarmiger Kronleuchter von 1610) ihr ausdrucksvolles Erscheinungsbild.

Rundgang

Lohnenswert ist ein Blick in das erste Turmgeschoß. Die voll funktionsfähige Uhr von 1884 (Beyes, Hildesheim) wurde 1989 restauriert; fünf Zentnergewichte bewegen das Walzenwerk. Im Uhrraum erinnern Gedenktafeln an die Kriegstoten zwischen 1814 und 1871. Das wertvollste Inventarstück der Kirche, der spätgotische Altar von 1520, zieht schon von weitem die Blicke des Besuchers auf sich. Wegen seines zweifachen Standortwechsels 1696 und 1911 ist der Altartisch leider jüngsten Datums (1956); jedoch die schwere, originale Mensaplatte zeigt noch die fünf Weihekreuze des Osnabrücker Bischofs. Die qualitätvolle Staffelmalerei des Sockels (Predella) verkündigt in Aufnahme vorreformatorischer Bezüge bereits „evangelische" Reformlehre der damaligen Umbruchepoche. Die Flügeltafeln des Passionsaltars wurden im 17. Jahrhundert zerstört. So zeigt der heutige Altarschrein in farbig übermalter Goldfassung neben der Kreuzigungsszene im Mittelfeld zwei unbekannte weibliche und zwei männliche Heilige der Kirche. Über dem Apostel Andreas steht im linken oberen Feld der im norddeutschen Raum selten zu sehende Ritter St. Gangolf, der Schutzheilige der Hiddenhauser Kirche. - Bildtafeln der alten Emporenbrüstungen von 1673 und 1696 zeigen biblische Szenen sowie zwei der noch nahezu 30 in der Kirche vorhandenen Hausmarken und Wappenbilder des 17. - 19. Jahrhunderts. In der Consbruchschen Prieche verdient das textreiche Biedermeier-Epitaph sowie das Fensterwappen besondere Aufmerksamkeit.

 

 

Auskünfte und Führungen: Pastor U. Rottschäfer ‑

Telefon 05223 8867

 

Literatur:

Rottschäfer, Ulrich: Die Predigt der Hiddenhauser Predella. Herford 1987.

Weitere Aufsätze zur Kirchengeschichte sind in den Gemeindebriefen der ev. Kirchengemeinde Hiddenhausen seit 1986 zu finden.

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